Das Meisterstück: der Col de la Bonette

 

Über Nacht hatte es wie aus Eimern gegossen. Beim selbstgebastelten Frühstück hofften wir noch, dass sich das Wetter etwas bessern würde. Leider war dem aber nicht so. Insgeheim fluchte und schimpfte ich, denn heute stand das Highlight der ganzen Route auf dem Programm: der Abstecher zum Col de la Bonette-Restefond (2.719m). Aus Motorradzeitungen hatte Axel erfahren, dass man diesen Pass unbedingt fahren müsste, wenn man schon einmal in der Gegend war, auch wenn er nicht direkt zur Route des Grandes Alpes gehörte.

erstmal Kaffee
erstmal einen Kaffee

Nach unserem Start und einer neuen Tankfüllung um kurz nach 9.00 Uhr wartete nun aber erst einmal der Col d´Izoard (2.358m) auf uns. Auch hier war die Landschaft einzigartig und auch hier gaben sich jede Menge Radsportler die Kante. Wir konnten von Glück reden, dass wir nicht am Wochenende unterwegs waren, denn dann wären dazu auch noch Wohnmobile, andere Motorradfahrer und wahrscheinlich teilweise auch Reisebusse hinzugekommen. Ich bezweifle, dass wir dann noch ansatzweise Spaß gehabt hätten.

Col d´Izoard
Fotostopp am Col d´Izoard

Bei der Abfahrt vom Col d´Izoard kamen wir dann in richtiges Scheißwetter. Ich war zwar vorher schon auf das feuchte Klima stinkig, aber das war noch harmlos gegen das, was nun kam. Dauerregen, sintflutartig... Bereits 50m vor mir konnte ich schon Axel nicht mehr erkennen, bzw. sah nur noch sein Rücklicht verzerrt glimmen. Also schoben wir uns pötternd die Serpentinen hinunter. An irgendeinem Punkt machte ich Halt für ein Foto (jedenfalls war es ein Versuch) und fuhr anschließend weiter, als meine Navi-Tante plötzlich ansagte: "Route wurde verlassen". Ich sah mich um, sah aber weder Axel, noch eine andere Straße. Lediglich ein steil abwärts führender Feldweg lag rechts von mir. Sollte dort die Route lang gehen? Ich überlegte kurz, schaute noch einmal aufs Navi, wartete noch ein Weilchen, ob Axel evtl. zurück kam und entschloss mich dann doch, der geteerten Version des Straßenbelags zu folgen...obwohl es Axel bei seiner Vorliebe für Schotter auch zuzutrauen war, dass er den anderen Weg genommen hatte.

Also, fuhr ich erst einmal 3km Serpentinen hinab. Hmmm, kein Axel weit und breit, der irgendwo auf mich wartete. Also doch der Schotterweg? Ich versuchte zwar, Axel über das Scala Rider funktechnisch zu erreichen, aber außer ein lautes Rauschen hörte ich nichts.
In einer etwas breiteren Linkskurve wendete ich, wobei beim Wenden das Gefälle von 10% beinahe reichte, um das Gleichgewicht zu verlieren, da mein rechtes Bein nicht mehr lang genug war, um auf der Straße Halt zu finden und ich die Fuhre fast nach rechts weggeschmissen hätte. So´n scheiß..... Im selben Moment raste auch noch ein Radfahrer mit gefühlten Tempo 60 Km/h in der Linkskurve dann noch innen an mir vorbei. Ich erschrak und war erstmal restlos bedient. Irgendwie schaffte ich es dennoch, meine Maschine unfallfrei zu wenden und vor dem nächsten von oben heranrauschenden Kamikaze-Rennrad-Piloten die "Kurve zu kriegen". Ich fuhr nun die 3km wieder zurück in der Hoffnung, dort oben Axel anzutreffen. Leider Fehlanzeige. Ich wartete noch einmal 10 Minuten, wendete erneut und beschloss nun, den "nicht im Navi vorhandenen" Asphaltweg zu Ende zu fahren. Irgendwo würde dieser schon wieder auf die geplante Route führen.

Ca. 100m hinter der Linkskurve, in der ich vorher gewendet hatte, erspähte ich Axel, der seit gefühlten Stunden dort im Regen mit hochgezogenen Schultern und Fotokamera in der Hand auf mich wartete. Einerseits war ich froh, andererseits dachte ich: Tolle Funkgeräte, die nicht funktionieren, nur weil eine kleine Felswand dazwischen ist. 500m Reichweite....Ha, das ich nicht lache. Na egal, jedenfalls war ich erleichtert, dass wir uns wieder gefunden hatten. Axel verstand nach kurzer Erklärung zwar nicht, warum ich kurzzeitig angenommen hatte, dass er evtl. auch den Schotterweg hätte gefahren sein können. Aber Axel wäre ja nicht "der Extreme", wenn wir Ähnliches nicht schon erlebt hätten, nicht wahr? ;-).

Regenguss
Regenguss

Danach ging es dann weiter zum Col de Vars (2.114m laut Navi). Das Wetter besserte sich leicht und ich hoffte, dass wir den geilsten Pass der Route, den Col de la Bonette, vielleicht doch noch im Trockenen fahren konnten.

Am oberen Punkt des Col de Vars hinterließen wir auch erst einmal wieder einen unserer kleinen Sticker und genossen die regenfreie Aussicht, bevor wir uns auf die fast 50km lange Reise über den Col de la Bonette begaben.

Col de Vars
Sticker aufkleben am Col de Vars

Kaum gestartet, setzte auch schon wieder der Regen ein. Super! Die Hoffnung auf trockene Straßen und einen fantastischen Ausblick war somit letztendlich gestorben. Trotzdem war die Auffahrt ein grandioses Erlebnis, jedenfalls für Axel. Schroffe Felsen, kein Baum mehr weit und breit und nur noch Moos. Auf halber Höhe erblickten wir dann auch die ersten Schneefelder. Die Straße war anspruchsvoll, aber zum Glück wenig befahren. Dieser Col war eindeutig Axels Favorit. Er fuhr wie ein junger Gott (trotz Erkältung) und war irgendwann nicht mehr zu sehen. Ich schwächelte etwas und hatte gerade irgendwie einen total toten Punkt. Schwerfällig schob ich meine Maschine um die Kurven und ich fror. Dabei war die Landschaft wirklich einmalig und eine reine Augenweide, aber die Streckenführung machte mir zu diesem Zeitpunkt irgendwie zu schaffen.

Anfahrt zum Col de la Bonette
Anfahrt zum Col de la Bonette

Die Landschaft wurde immer karger und bald gab es nur noch Schotter, Geröll und Schnee neben der Straße. Zum Glück wurde der Regen etwas weniger und man konnte wieder besser sehen. Bei Sonnenschein musste die Aussicht fantastisch sein. Irgendwann entdeckte ich aus den Augenwinkeln merkwürdige Gebilde im Felsen und versuchte, diese mit meiner Kamera heran zu zoomen. Wie sich später herausstellte, waren dort Sterne im Felsen verewigt worden. Wie die dort hinkamen oder wer die gemacht hat....keine Ahnung.

Felsenzeichnungen
seltsame Felsenzeichnungen

Es ging höher und höher, aber die Temperaturen fielen. Bald gab es nur noch Schnee und Nebel und Nieselregen. Doch das Gefühl, 2.800m hoch zu sein und den Pass bezwungen zu haben, lässt das Motorradfahrerherz einfach höher schlagen. Schade war nur, dass die Rampe bis zum höchsten Punkt noch wegen des Schnees gesperrt war. Nun denn, gesehen hätten wir ja eh nichts. Aber trotzdem...man hätte sagen können, man war auf der "höchsten Straße Europas" (laut Wiki). Wir ließen das Szenario auf uns einwirken, "genossen" mehr oder weniger den Blick in die Nebelfelder und den nicht sichtbaren Abgrund und spürten ein bisschen Stolz.

Blick auf den Col de la Bonette
Axel ist glücklich - Blick auf den Col de la Bonette

Ich war auch da
ich war auch da ;-)

Langsam setzten wir uns wieder in Bewegung und machten uns an die Abfahrt. Bereits nach ein paar hundert Metern sahen wir, dass wir wirklich nur auf einem sehr schmalen Grat fuhren, denn links und rechts ging es steil die Wände hinunter. Huch...der Anblick ließ mich etwas panisch werden. So ganz wohl fühlte ich mich bei dem Gedanken nicht, hier auf einer 3m breiten Straßen zu fahren, während links und rechts der gähnende Abgrund nach Beute suchte. Bloß nicht hingucken....man fährt immer da hin, wohin man schaut. Also, Augen geradeaus und weiter. ;-)

Camp des Fourches
Camp des Fourches

Während der nun folgenden Abfahrt wurde das Wetter immer besser. Seltsam fanden wir dann noch ein verlassenes Dorf, durch das die Route führte. Ich frage mich, warum man überhaupt mal in jener Zeit hier in dieser verlassenen und kargen Gegend in einer Höhe von ca. 2.300m ein Dorf gegründet hat. Nach ehemaligem Tourismus sah es nicht aus. Interessiert hätte es mich aber schon. Unter diesem Link könnt ihr euch das Dorf mal aus Google-Earth-Sicht anschauen.

Anmerkung: Da ich von Haus aus neugierig bin, habe ich noch mal gegoogelt und folgendes über das Dorf gefunden...
Auf der Südostrampe führt die Straße durch das Camp des Fourches auf 2.271 m, ein ehemaliges Militärcamp, dessen Häuser heute nur noch aus Ruinen bestehen..
(Quelle:
Wikipedia Col de la Bonette)

Die Abfahrt machte Spaß, das Wetter besserte sich weiter und es gab tolle Serpentinen-Folgen, die wir zugleich als Fotomotiv nutzten. Als wir die letzten Meter der Passstraße hinter uns hatten, schien die Sonne und wir gönnten uns erst einmal eine wohlverdiente Pause mit heißem Kaffee und gebasteltem Brot. Und wie wir da so sitzen und über das Erlebte plaudern... Nun ratet mal, wer da an unseren parkenden Moppeds vorbeifährt? Rischtiiich: der GS-Fahrer aus Bayreuth. Als er uns erkannte, zögerte er ganz kurz und überlegte wohl, ob er anhalten sollte, entschied sich dann aber fürs Weiterfahren und hob noch schnell die Hand zum Gruß. Schade, denn wir hätten uns gerne mit ihm über die bisher gefahrene Strecke ausgetauscht.

wohlverdiente Pause
wohlverdiente Pause

Jetzt befanden wir uns quasi auf der Südseite der Alpen und die Sonne kämpfte sich langsam aber sicher durch die Wolken. Vorher im einstelligen Temperaturbereich gewesen, befanden wir uns jetzt schon wieder an der 20°-Marke. Nun war Endspurt zu unserem Etappenziel angesagt. Der Weg dorthin führte uns aber immer wieder durch absolut reizvolle Gegenden und über spannende und kurvenreiche Straßen.

Kurven satt
Kurven satt

Man musste das alles einfach auf sich einwirken lassen und den Spaß genießen. Fantastische Farben und Gerüche der Natur zusammen mit seltenen Felsformationen wechselten sich mit direkt an Flüssen entlang führenden schmalen Straßen, teilweise ohne Leitplanken, ab. Maximal war mal ein Felspoller zu sehen, aber ob der bei einer Höhe von vielleicht 30 cm wirklich Schutz gab, bezweifelten wir stark.

Gegen 18.00 Uhr erreichten wir unseren angepeilten Campingplatz "Origan Village" bei 28°. Nachdem der deutschsprechende Platzwart uns die beiden letzten noch freien Zeltplätze gezeigt hatte (Besichtigung erfolgte ziemlich zügig mit einem Elektro-Caddy), entschlossen wir uns für eine etwas geschützt stehende Parzelle mit eigener Wasserversorgung. Einziger Nachteil: der Untergrund bestand aus Kies. Aber auf Rasen kann ja jeder... ;-)

Zeltplatz auf Kies
Zeltplatz auf Kies

Axel schaffte es, die Heringe zu versenken und dank Schutzunterlage und Isomatte machte uns das Kiesbett tatsächlich nichts aus. Nach einem ersten Waschgang getragener Textilien, widmeten wir uns unserem Etappenziel-Bierchen und ließen den Abend entspannt und vor allem glücklich und zufrieden ausklingen. Mittlerweile hatte Axel unsere Hazienda noch optimiert und ein großes Sonnensegel über unser Zelt gespannt. Klasse, so hätten wir auch bei Regen locker unter dem Segel Platz gehabt. Als Tisch diente einer unserer Alukoffer und als Hocker die Dreibeine von Louis. Passt scho...

Wir einigten uns noch darauf, morgen die Route des Grandes Alpes zu Ende zu fahren, obwohl ich es zuerst vorgezogen hatte, uns erst einmal den Canyon du Verdon anzuschauen. Ich befürchtete einfach, dass das Wetter wieder umschlagen würde...

Heute gefahren von Le Bez nach Origan Village: 232 KM

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