Highlands, Linksverkehr und nette Leute

 

 

Ein heißer Tag Ende Juni. Im Schatten kaum auszuhalten, im Haus noch weniger. Doch die Arbeit verlangt auch beim Homeoffice-ing einen klaren Kopf. Axel kocht Kaffee und wartet, dass ich den Feierabend einläute. 16:00 Uhr, der Laptop wird zugeklappt.

"Was ist denn nun mit Urlaub? Wo wollen wir denn nun hin? Du sitzt doch gerade am Laptop. Guck doch mal so, was die Fähre nach Schottland kostet."

Gesagt, getan. Schnell gebe ich die Eckdaten ins Auswahlfenster ein und erkenne, dass es täglich unterschiedliche Preise gibt. Die Kabine scheint dabei nicht einmal das Teuerste zu sein, sondern der Transport der Motorräder. Ein Doppelbett in der Innenkabine kostet nur 8,- Euro Aufschlag, also nehmen wir doch das. Wollen wir Frühstück? Wollen wir Abendessen? Abendessen ja, Frühstück nein. Also buchen wir auch hier noch 2 Buffetplätze dazu. Der Rechner spuckt für 2 Motorräder, 1 Innenkabine (Hinfahrt Doppelbett, Rückfahrt Etagenbett) satte 816,- EUR für die Hin- und Rückfahrt aus. Hossa, das ist ja mal ne Ansage. Und kein Vergleich mit den 34,- EUR pro Person und Mopped ab Greena im vorletzten Jahr auf dem Weg zum Nordkap.

Nach kurzer Abstimmung nicken wir uns zu und ich drücke auf den "Absendebutton". Die Freude währt nur 1 Stunde, weil mir dann einfällt, dass ich zu dem gewählten Termin ja noch gar keinen Urlaub habe. Heiß und kalt durchfährt es mich und ich suche fieberhaft nach einer Lösung. Aus der Internet-Eingabe-Spielerei war unüberlegt Ernst geworden und ich hatte nicht mehr auf das Datum geachtet...
Darlegung der Fakten in der darauffolgenden Woche, Diskussion und zum Glück habe ich einen netten und verständnisvollen Chef.

12 Tage später geht es auch schon los. Maßlos geärgert hat es mich, als ich ein paar Tage vorher erfahre, dass eine Buchung als ADAC-Mitglied uns glatte 10% pro Transport gespart hätte. Vielleicht sollte man doch einfach mal auf die BU-Händlerrabattliste oder generell beim ADAC schauen, ob es Rabatte gibt.

Axel hatte über die Wintermonate sämtliche in Frage kommenden Touren nach Portugal oder Schottland mit MapSource geplant. Da musste dann jetzt nur noch einmal der Feinschliff drüber. Die Klamotten sind schnell gepackt, das Foto- und Filmequipment nicht. Aufgrund unterschiedlicher Formate der Speicherkarten gibt es Probleme, da nicht jede Kamera NTFS oder exFAT lesen und beschreiben kann. Also formatiere ich alle Karten zurück zu FAT. Größere Dateien als 4 GB werde ich sicherlich auch nicht filmen. Mit diesem Format laufen aber alle Kameras. Das ist ja schon einmal beruhigend und lässt hoffen, dass ich dieses Mal weniger Stress mit der Filmerei habe.

Kabelwirrwarr
Kabel-, Kamera- und Kartenwirrwarr

Nu geit dat los

Mittwoch, den 11.07. um 7:30 Uhr starten wir die GSsen und fahren mit brüllendem Echo aus dem Schlund der Tiefgarage. Jetzt weiß wenigstens auch der letzte Nachbar, dass wir wieder mit den Moppeds unterwegs sind. Meine Sorge ist, dass die Fähre in Ijmuiden ohne uns abfährt. Axel hingegen ist entspannt, denn laut Berechnung des Navis sollen wir bereits den Hafen um 13:00 Uhr erreichen. Bording ist vom 15.30 Uhr bis 17:00 Uhr.

Der seit Wochen dringend benötigte Regen setzt genau jetzt ein. Die Fahrt durch den Elbtunnel ist wie jedes Mal nervig. Staus, Baustellen und der Berufsverkehr potenzieren sich. Mit den Mopped können wir uns wegen der Baustellen auch nicht durchmogeln. Das kostet schon einmal eine halbe Stunde. Die neue Mohawk-Hose ist bis jetzt dicht. Wie schön, endlich mal kein Fehlkauf. Die vom Schuster geflickten und neu mit Lederfett verwöhnten Stiefel auch. Das Navi läuft auch reibungslos, die SENA Anlage ebenfalls. Wir freuen uns...

Bis kurz vor Rade auf der A1. Ab hier geht dann nichts mehr. Totaler Stopp und in der Ferne Blaulicht. Durch die Rettungsgasse trauen wir uns nicht, weil wir die Situation noch nicht richtig erfasst haben. Das Navi sagt jetzt bereits eine Ankunft um 13:40 Uhr vorher. Nach einer Viertelstunde schalten wir die Moppeds aus. Die über uns ziehenden Regenwolken geben nun alles und mein jetzt durchnässter Buff seinen Inhalt nach innen ab. Schrittweise geht es weiter. Wir schieben die Moppeds, weil sich Starten nicht lohnt. Zum Glück geht es leicht bergab.

Endlich kommt Bewegung in die Sache. Sehr laaaangsam geht es weiter und Meter für Meter kommen wir der Ausfahrt Rade näher. In der Ferne ist immer noch Blaulicht zu sehen, die BAB ist voll gesperrt. Einige fahren nach der Ausfahrt links, einige fahren rechts, wir entscheiden uns für links. Ist aber egal, weil wir ein vor uns rechtsabbiegendes Auto an der Auffahrt Hollenstedt wieder vor uns haben.

Um 11:36 Uhr überqueren wir die niederländische Grenze und haben bereits 3 Minuten aufgeholt. Der Regen hat sich verzogen, es wird warm. Um 12:16 Uhr landen die Regenklamotten wieder im Koffer, Hunger und Durst werden mit Cola und Müsliriegeln gestillt.

Pause hinter der niederlaendischen Grenze
Pause hinter der niederländischen Grenze

Der Wind fegt über das flache Land und pustet uns fast von der Fahrbahn. Aus 2-spurigen Autobahnen werden 4-, 6- und 8-spurige, je näher wir Amsterdam kommen. Wir befinden uns letztendlich in einem Netz aus Autobahnen. Wie haben wir eigentlich irgendwelche Ziele früher ohne Navi erreicht?

 Mit dem letzten Tropfen Benzin und nach knapp 500 Kilometern erreichen wir nach einem Wirrwarr von Autobahnkreuzen Velsen-Süd und rollen auf die letzte Tanke vor dem Hafen Ijmuiden. Tankstelle ist übertrieben. Eher Souvenirshop mit Zapfsäule. Hier ist nur Kartenzahlung direkt an der Säule möglich. Wir lassen laufen und dürfen für 2 volle Tanks 93,- EUR abdrücken.

Den Hafen erreichen wir um 14:30 Uhr und der Check-In ist bereits früher als angekündigt in vollem Gange. Das Schiff wirkt irgendwie verspielt klein und ich blicke auf die Vielzahl von Lkws, Autos und Gespanne, die sich bereits in die 14 Wartespuren eingereiht haben.

Axel vor der Prinzess Seaways
Axel vor der Prinzess Seaways 

Die Motorradfahrer müssen in der 1. Reihe warten. Beim Check-In bin ich hoch konzentriert und versuche zu verstehen, was mir die Dame hinter der Scheibe auf Englisch sagen will. Ich verstehe nur Wortfetzen, als sie mir 4 Pappkarten und unsere Buchungsunterlagen in die Hand drückt.

Dann rollen wir auch schon weiter. Beim nächsten Stopp werden unsere Ausweise und soeben überreichten Pappkarten überprüft und ich sehe aus den Augenwinkeln, dass sich gerade ein Pulk von Motorradfahrern aus der 1. Reihe in Bewegung setzt und ins Schiff fährt. Ich habe die Unterlagen noch in der Hand, als uns ein hektisch winkender Einweiser in die 1. Reihe  befiehlt. Man, was für ein Stress.

Ab jetzt passiert erst einmal gar nichts mehr und ich habe Zeit, die Kärtchen zu studieren. Eine Karte pro Mopped und eine Karte pro Person für die Kabinentür und das gebuchte Abendessen. Wofür die erste Karte mit dem Kennzeichen drauf dient, hat sich uns aber bis zum Ende der Reise nicht erschlossen, da sie keiner sehen wollte.

Mittlerweile warten mit uns bereits 6 weitere Motorradfahrer. Um 15:00 Uhr wage ich mich, einen der neonorange gekleideten Einweiser zu fragen, wie es denn nun weitergeht. So genau kann er es mir auch nicht sagen, denn er wartet nur auf Anweisungen. Kaum ausgesprochen, höre ich eine Stimme aus seinem Funkgerät und er weist uns an ins Innere des Schiffes zu fahren. Das Bording beginnt, die Aufregung wächst und ich schalte die Helmkamera ein.

Auf einem gelb markierten Streifen, der auf den Stahlboden gepinselt wurde, geht es eine Rampe hoch und quer durchs ganze Schiff bis fast nach vorne. Ein Einweiser weist mich punktgenau an, wo ich mein Mopped hinzustellen habe.

Fahrzeugdeck 4
punktgenaue Einweisung

Viel Platz gibt es wenig und ich bin froh, dass ich einigermaßen elegant absteigen kann. Plötzlich rammt mich gefühlt von hinten fast ein Bully. Zwischen Mopped und Auto sind höchstens noch 20 cm Platz. Wo ist überhaupt Axel? Wir sind zusammen an Bord gefahren, aber jetzt sehe ich ihn nicht mehr. Hinter mir füllt sich der leere Platz mit weiteren Autos.

Fahrzeugdeck
Axel 10 Meter weiter hinten

Etwa 10 Meter entfernt entdecke ich Axel. Er steht seitlich an die Bordwand gepresst. Überall wuselt es und alle Motorradfahrer sind eifrig damit beschäftigt, ihre Fahrzeuge mit Gurten zu sichern, was mir erst mühsam gelingt, nachdem ich mir die Tricks und Kniffe bei den anderen abschaue. Bepackt und durchgeschwitzt erreiche ich Axel und erkenne an seinem hochroten Gesicht, dass er kurz vorm Ausrasten ist. Nach weiteren 10 Minuten ist auch sein Mopped gesichert und wir haben nur noch das dringende Bedürfnis, diesem Backofen hier zu entfliehen.

Wir merken uns die Decknummer und suchen den Ausgang. Oh, super. Es gibt hier sogar einen Fahrstuhl, der aber jedes Mal völlig überfüllt ist, wenn er sich auf unserem Deck 4 öffnet, und wir lassen ihn ziehen. Nach 4 Versuchen ist es Axel egal und er entert die Kabine. Ich folge und gemeinsam pressen wir den menschlichen Inhalt auf die Hälfte zusammen. Erst jetzt merke ich, dass wir nach nassem Hund riechen. Andere scheinbar auch.

Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichen wir Deck 8 und unsere Kabine, die aus einem Doppelbett, einem Spiegel, 2 Haken und einer Toiletten-/Duscheinheit besteht. Der Abstand zwischen Doppelbett und Toilettenwand wird sofort von Axel mit seinem Tankrucksack ausgefüllt. Jetzt müssen nur noch 2 Koffertaschen, 2 paar Stiefel verstaut und etwa 10 feuchte Kleidungsstücke zum Durchlüften aufgehängt werden.

Innenkabine
Axel ist entspannt

Um 16:00 Uhr herrscht das geordnete Chaos in der Kabine. Die vergangenen Stunden waren anstrengend, bis zur Abfahrt haben wir noch gut 90 Minuten. Das Bett ruft und wir legen uns für eine Stunde auf die Ohren. Bereits nach 3 Minuten ist Axel komatös eingeschlafen und verhindert durch Kettensägen-Massaker-Geräusche, dass ich dem folgen kann. Irgendwann klappt es aber dann wohl doch, denn ich wache überrascht gegen 17:00 Uhr auf. Die Abfahrt wollen wir nicht verpassen, werfen uns in die Freizeitklamotten und entern die Sky-Bar auf dem 11. und damit obersten Deck der "Prinzess Seaways". Natürlich sind bereits alle Sitzplätze belegt. Ein Stehplatz tut es aber auch.

Strandhäuser
Schöne Bilder bei der Abfahrt

Abfahrt aus Ijmuiden
Abfahrt aus Ijmuiden

Die Preise für ein Bier schlagen dem Fass allerdings fast den Boden aus. Für 5,- EUR gibt es ein Heineken, die anderen Sorten sind noch teurer. Wir stoßen an und freuen uns auf unseren Urlaub, als das Schiff auch schon unplanmäßig um 17:22 Uhr ablegt. Wir filmen und fotografieren und unterrichten die Lieben in der Heimat über social media, dass nun unser Schottland-Urlaub beginnt.

Der Wind pustet aus vollen Rohren und wir haben Sorge, wie es wohl weiter draußen auf dem Meer abgeht. Unser Termin für das Abendessen ist erst um 20:30 Uhr. Die besten Zeitfenster waren bei unserer Buchung bereits vergeben, so dass wir keine Alternativen hatten. Da wir noch massig Zeit haben, versorgen wir uns zunächst im Shop mit 4 Dosen Bier und Toblerone. Zum Glück finden wir hier auch einen Adapter für englische Steckdosen. In der Hektik hatten wir völlig vergessen, uns einen zu besorgen.

Prinzess Seaways
Info-Monitor beim Counter

Um 18:00 Uhr öffnet der Exchange-Counter und Axel wechselt 499,- EUR in Pfund um, weil er bei 500,- EUR seinen Ausweis hätte vorlegen müssen, den Axel aber nun gerade nicht zur Hand hatte.

Bei der Rückkehr in unsere Kabine schlägt uns eine süßliche Geruchsmischung entgegen. Puh...wir stellen die Klimaanlage etwas stärker ein und verlassen dieses Loch wieder mit einer Dose Bier in der Hand. Die Zeit bis zum Abendessen verbringen wir im Windschatten auf einem der oberen Decks, leider aber auch ohne Sonne.

Schottlandfähre
Warten im Windschatten

Um 20:00 Uhr wagen wir uns vorzeitig ins Restaurant und freuen uns, dass wir bereits eine halbe Stunde eher Einlass bekommen. Das Buffet ist reichhaltig, aus aller Herren Länder gibt es Spezialitäten. Da wir kein Schwein essen, dezimiert sich die Auswahl. Sie ist aber immer noch so groß, dass wir auch nach dem 3. Gang nicht alles probieren können. Auf den Nachtisch müssen wir komplett verzichten. Leichte Übelkeit macht sich breit.

Spezialitäten aus der ganzen Welt
Leckereien aus der ganzen Welt

Die Übelkeit steigt noch ein wenig und wir verspüren nicht einmal mehr Durst auf ein Bierchen. Völlig platt und akut sofabedürftig verbringen wir den Rest des Abends in einer der 3 Bars. Hier spielt ein Alleinunterhalter mit seiner Gitarre und elektronischem Equipment Lieder vom Feinsten. Sein Repertoire ist so groß, dass man ihm spontan Liederwünsche zurufen kann, die er umgehend umsetzt. Nicht schlecht, der Mann...

Gegen 1 Uhr gehen wir zurück in die Kabine. Der muchelige Geruch ist fast verschwunden. Wir machen das Licht aus. Es ist pechschwarz. Wegen des beklemmenden Gefühls in einem Sarg zu liegen, machen wir das Licht in der Duschkabine an und lassen die Tür einen winzigen Spalt auf. Mit einem letzten Blick auf den sich im Takt der Wellen bewegenden Nierengurt, der von der Ablage unter dem Spiegel herunterhängt, schlafe ich ein.

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